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"Das Rheingold" an der Berliner Staatsoper ist ein geglücktes Experiment
Opernfans können hier einen Text zur zweiten Aufführung von "Das Rheingold" in der Staatsoper Unter den Linden Berlin lesen...
Opernfans können hier einen Text zur zweiten Aufführung von "Das Rheingold" in der Staatsoper Unter den Linden Berlin lesen...
Berlin hat einen zweite Neuproduktion von „Der Ring des Nibelungen“. Nach den Anstrengungen sechs Kilometer weiter westlich ist jetzt auch das Mammutwerk von Richard Wagner in der Staatsoper Unter den Linden nach jahrelanger Vorbereitung und monatelangen Proben herausgekommen. Was vor Jahrzehnten außerhalb der Festspielstadt Bayreuth noch als unmöglich erschien, der gesamte Ring galt lange als nicht realisierbar, Inszenierungsserien wurden oft abgebrochen, ermöglichen heute eingespielte Teams und modernste Technik: Alle vier Ring-Abende hatten Anfang Oktober 2022 innerhalb von nur einer Woche Premiere. Für Opernfans erscheinen hier Anmerkungen zur zweiten Aufführungsserie zwischen dem 15. und 23. Oktober 2022.
Die Wagner-Inszenierungen von Dmitri Tcherniakov fallen auf. Ohne den Zusatz „war er bereits erfolgreich mit“ ist kaum etwas über ihn zu lesen. Schon dem ersten Werk des Rings, der Oper„Das Rheingold“ ist ein großer Erfolg zuzusprechen. Schon am Anfang des „Vorabend des Bühnenfestspiels“ erfahren wir, wo „Das Rheingold“ in der Interpretation von Tcherniakov spielt.
Ein Menschen-Experiment ist im Institut „E.S.C.H.E.“ angesiedelt, es geht hier um die „Untersuchung menschlicher Verhaltensmodelle in einer Testgruppe“, wie es während der Fahrt nach Nibelheim in großen Lettern auf den Kulissen steht. Videos zeigen anfangs Abläufe im menschlichen Gehirn, oder ist es die Heilung eines Herzinfarktes, die ein Protagonist erlitten hat? Die gesamte Handlung von „Das Rheingold“ packt den geneigten Opernfan mit ihren vielen Ebenen, Erzählungen, Vorahnungen, Verwandlungen, einem Mord auf offener Bühne und den Erläuterungen zur Macht des Rings, aber diese Inszenierung geht dank stringenter Personenführung und starker Bilder unter die Haut, gar bis ins Herz.
Der Zwerg Alberich ist zu Beginn nicht vom Anblick des Goldes geblendet, sondern er erlebt die Schönheit des Rheingoldes als Vision, die durch einen rötlichen Helm mit elektrischen Impulsen in einem Stresslabor in sein Gehirn gebracht wird. Die Rheintöchter sind medizinische Assistentinnen, durch ihre Erzählungen lässt sich der Zwerg zum Diebstahl des Goldes hinreißen – allerdings trägt er nur die zertrümmerten Apparate aus dem Labor raus.
Wotan scheint der Leiter der Versuchsanlage zu sein. In einer Art Hörsaal diskutiert er mit Fricka, um anschließend in einem Konferenzraum den Riesen Fasolt und Fafner sein neues Angebot zur Bezahlung ihrer Verdienste beim Bau der Burg Walhall zu machen. Die Räume verschieben sich in magischer Manier von links nach rechts und wieder zurück. Wir waren schon immer der Meinung, dass jeder gern die gute alte Drehbühne sieht. Jetzt ist die aufwändige Verschiebung der Räume mit großen hydraulischen Anlagen sogar ein noch modernerer Hingucker, also „das sieht jeder gern“!
Das gilt schließlich auch für die imposante „Fahrt nach Nibelheim“. Das Zwergenreich baut sich aus der Versenkung als 3. Untergeschoss auf, im Vorbeifahren sehen wir noch ein Labor für Tierversuche (lebende Karnickel!). Wir meinen also, dass sich der erwähnte Hörsaal und der Konferenzraum auch im Untergeschoss befinden, womit wir annehmen, dass die gesamte Inszenierung von „Das Rheingold“ unter der Erde spielt.
Hier im düsteren Nibelheim erlebt Alberich seine Verwandlung zum Drachen und zum Wurm wieder „nur“ als Vision des von Mime konstruierten Tarnhelmes, wird aber erfolgreich „entführt“ und zur Beschaffung von Gold nach oben gebracht. Wotan entreißt ihm den Ring, den Alberich verflucht. (Geistesgegenwärtig gelingt es Michael Volle als Wotan sogar, den beim Entreißen aus Versehen runter gefallenen Ring aus dem Lichtkasten am Bühnenrand zu fischen!). Dann bekommen die Riesen den Ring, aber die Erdgöttin Erda warnt, dass der Besitz das Ende der Götter herbeiführen würde. Und das Unheil nimmt in weiteren drei Opernabenden seinen Lauf, oberirdisch und vor allem unterirdisch!
Diese starken, in vielen Aspekten auch neuen Interpretationen des Stückes werden durch die abwechslungsreiche Musik von Richard Wagner getragen und durch die brilliante Spielweise der Staatskapelle Berlin zusätzlich vergoldet. Staatskapellmeister Thomas Guggeis, als wesentliches Hauptattribut ist bei ihm „jung“ zu lesen“, findet genauestens Maß und Mitte. Und die Sänger wachsen über sich hinaus. Eine besseres Maß zwischen Gesang, Sprache und Spiel ist nach der Wotan-Interpretation durch Michael Volle nicht vorstellbar. Das gilt auch für den Alberich von Johannes Martin Kränzle, Textverständnis, Ausdruck, Theatralik – alles perfekt! Stephan Rügamer als Zwergenbruder Mime lässt Freude und Vorfreude aufkommen, denn er ist auch der Sänger des Mime im „Siegfried“.
Claudia Mahnke gestaltet eine sehr warmherzige Fricka. Zurecht besonders viel Applaus bekam Anna Kissjudit als Erda. Ihre tiefe Mezzosopran-Stimme scheint schon wieder eine neue Generation von Wagner-Interpretinnen zu begründen.
Schade, dass ausgerechnet der als „prominenter Interpret“ angekündigte Rolando Villazón als Loge nur in der Mittellage zuverlässig ist und innerhalb dieser herausragenden Sängerriege in der Darstellung leuchtet, aber bei der sängerischen Darbietung leider das Schlusslicht bildet.
Nur 1400 Besucherinnen und Besucher können diesen Ring des Nibelungen in vier Aufführungsserien in der Spielzeit 2022/2023 erleben. Aber der Fernsehsender ARTE zeigt „Das Rheingold“ am 29. Oktober 2022 um 21.45 Uhr im TV, das gesamte Werk „Der Ring des Nibelungen“ wird sogar auf ARTE Opera ab dem 19. November 2022 für mehrere Wochen abrufbar sein. Ein Muss für Opernfans!
Das Rheingold
Vorabend zum Bühnenfestspiel
Der Ring des Nibelungen (1869)
Text und Musik von Richard Wagner
2 Stunden 30 Minuten, ohne Pause
Mitwirkende der beschriebenen 2. Aufführung
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung, Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Video: Alexey Poluboyarinov
Dramaturgie: Tatiana Werestchagina, Christoph Lang
Wotan: Michael Volle
Donner: Lauri Vasar
Froh: Siyabonga Maqungo
Loge: Rolando Villazón
Fricka: Claudia Mahnke
Erda: Anna Kussjudit
Alberich: Johannes Martin Kränzle
Mime: Stephan Rügamer
Fasolt: Mika Kares
Fafner: Peter Rose
Woglinde: Evelin Novak
Wellgunde: Natalia Skrychka
Flosshilde: Anna Lapkovskaja
Staatskapelle Berlin
Das Programmheft kostet 12 €.
Website der Staatsoper Berlin (öffnet in neuem Fenster)
Einige Hinweise für Ihren Opernbesuch in der Staatsoper unter den Linden
Website mit der Möglichkeit, Karten für die Staatsoper zu bestellen: www.staatsoper-berlin.de
Das Opernhaus Staatsoper Berlin hat die Adresse Unter den Linden 7 in 10117 Berlin.
Am bequemsten erreichen Opernfans die Staatsoper über die Haltestelle der U5, "Museumsinsel".
Parken können Sie in der Parkgarage Staatsoper. Dort können sie das Parkticket vor der Vorstellung lösen, wenn sie noch vor der Vorstellung den "Theatertarif" am Automaten auswählen.
Opernfan.de dankt der Staatsoper für die freundliche Unterstützung bei der Berichterstattung.