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Große, sehenswerte Freiheitsoper über Wilhelm Tell in Hamburg
Eine Inszenierung von Rossinis Guillaume Tell in Hamburg ist optisches Neuland, musikalisch aber durchgehend hörenswert.
Eine Inszenierung von Rossinis Guillaume Tell in Hamburg ist optisches Neuland, musikalisch aber durchgehend hörenswert.
Ein Schweizer inszeniert in einem Opernhaus, das ein Schweizer leitet, die schweizerischste aller Geschichten. Sie dreht sich um den Rütlischwur und seine Teilnehmer, der dem Mythos nach die politische Grundidee der heutigen Schweiz ist: Freiheit für das Volk und Herrschaft ohne Unterdrückung. Der Titelheld Wilhelm Tell wurde durch einen Schuss aus seiner Armbrust auf einen Apfel berühmt, der auf dem Kopf seines Sohnes lag. Damit befreite er kurz nach dem Rütlischwur Helvetien aus der Unterdrückung durch die Habsburger.
Die Oper Guillaume Tell von Gioachino Rossini, 1829 für Paris geschrieben, ist das letzte seiner Bühnenwerke. Das Stück ist ein Monumentalwerk. Es hat sogar die Gattung der „Grand Opera“ neu definiert. Wegen seiner großen Anforderungen steht es eher selten auf deutschen Spielplänen und so macht sich die Hamburgische Staatsoper sogar sehr verdient um dieses großartige Werk. Seit über ein hundert Jahren wurde es nicht mehr an der Elbe inszeniert.
Im ersten Teil lernen wir zunächst Wilhelm Tell als smarten Freiheitsdenker kennen. Durch die Unterdrückung des brutalen Landvogts Gessler ist die Stimmung seines Volkes getrübt. Tell versucht sogar Arnold, der in die Habsburgerin Mathilde verliebt ist, zur Idee der Freiheit zu bekehren. Während des ausgelassenen Beisammenseins der Hochzeitsgesellschaft wird die Tyrannei von Gessler erneut offensichtlich. Seine Mannen verfolgen einen Verbrecher und brandschatzen dabei sogar umliegende Dörfer und nehmen den alten Melchthal, Arnolds Vater, als Geisel.
Die Handlung ist in die heutige Zeit verlegt. Der Stil der Inszenierung ist von Beginn an gewöhnungsbedürftig und erinnert an große Schauspielabende, die eher aus progressiven, avantgardistischen Häusern wie der Berliner Schaubühne bekannt sind. Vor einer großen, gebogenen Panoramawand ist ein drehbares Rund aufgebaut. Die Bühne ist dunkel und meist kalt ausgeleuchtet. Wie Cavaradossi in Puccinis Tosca steht Tell während der Ouvertüre auf einem Gerüst und hilft bei der Restauration eines monumentalen Bildes: L‘ Unanimité (Die Einmütigkeit). Das Panoramabild ist hier ein Sinnbild für das Einschwören einer Gesellschaft auf eine politische Idee.
Einst hieß es, Rossini hätte den ersten, dritten und vierten Akt komponiert, der zweite Akt stamme von Gott! So schön klingt es dann auch, und sogar das Bühnenbild gewinnt ab dem zweiten Akt hauptsächlich durch stets hochgepusteten Theaternebel an Atmosphäre. Das sieht recht schön aus und bildet erst mal einen guten Rahmen für den andächtigen Gesang des Liebespaares Arnold und Mathilde. Arnold beschließt, sich den Truppen der kaiserlichen Unterdrücker anzuschließen und zum Überläufer zu werden. Wilhelm Tell kommt und konfrontiert Arnold mit dem Tod seines Vaters. Der ändert rasch seine Gesinnung und bleibt Helvetien treu. Die Abordnungen der Nachbarkantone treffen ein. Es kommt zum Schwur für die Beseitigung der Fremdherrschaft, zum sogenannten Rütlischwur. Die Szene ist eindrücklich umgesetzt: Der große Herrenchor trägt Scheinwerfer, die wie Lichtschwerter den Nebel durchschneiden. Im düsteren Rund erklingen die großartigen Ensembleszenen des Rütlischwurs.
Interessant und spannend ist es auch im 3. Akt. Gessler hisst ein Symbol, vor dem sich jeder Schweizer Bürger verneigen muss. In Hamburg ist das eine unästhetische Unterhose ganz oben auf einem Schlagbaum. Nun ja. Kurz bevor Wilhelm Tell sein Volk zum Aufstand zusammenrufen kann, erpresst Gessler ihn. Nur, wenn er mit sicherem Schuss einen Apfel aus dem Kopf seines Sohnes treffen würde, käme er frei.
Aus den Inszenierungen des Theaterstoffes kennt man den Bühnentrick mit einem Apfel, aus dessen Innerem beim Schuss ein Pfeil herausklappt. In der Hamburger Inszenierung ist das Live-Problem des Schusses dagegen anders, aber elegant gelöst. Ein rebellischer Habsburger greift sich kurz vor dem Auslösen den Pfeil aus der Armbrust und wird zum Überläufer. Damit ist der Untergang des Tyrannen auf den Weg gebracht. Im großen Schlusstableau des dritten Aktes wird schließlich Gesslers Gerüst niedergerissen. Die Aufständischen reißen das große Gestell auf den Taktschlag genau herunter. Großes Getöse in der Grand Opera, aber das ist sehenswert gemacht und einfallsreich obendrein.
Im vierten Akt wird schließlich Arnold zum Anführer der aufständischen Eidgenossen. Wilhelm Tell und Gessler fahren im Sturm über den Vierwaldstätter See und durch eine geschickte List gelingt es Tell, das Boot mit Gessler aufs Wasser zurückzustoßen und den Unterdrücker mit einem Pfeil aus seiner Armbrust zu töten. Am Ende geht alles gut, denn die nahe Festung Altdorf ist gefallen und die Helvetier haben den Habsburgern den Garaus gemacht. Die Schweiz ist frei und in einem großen, musikalisch höchst vielschichtigen Finale, vereinigen sich alle Stimmen im Dank.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Gabriele Ferro ist in der besuchten, dritten Vorstellung in Bestform. Leider wackelt es zwischen Bühne und Graben häufiger als üblich, was sicherlich den enormen spielerischen Anforderungen der Darsteller geschuldet ist. Das sollte nicht sein, aber zum Glück sind die zahlreichen großen Ensemble- und Schlussszenen, bei denen es auf der Bühne eher statisch zugeht, genau zusammen.
Auffällig, dass die Regie die Hauptdarsteller vor dem Risiko bewahrt, im Getümmel verlorenzugehen oder auf der großen Spielfläche verloren zu gehen. Gerade das Liebespaar Arnold Melchthal und Mathilde von Habsburg dürfen sehr viel an der Rampe stehen, was den geneigten Opernfan erfreut. So ist auch Yosep Kang der Star des Abends. Aus Berlin haben Kang in den letzten Jahren seine Interpretationen von Tamino, Rodolfo, Don Ottavio und Graf von Mantua berühmt und beliebt gemacht. Mit Leichtigkeit und nochmals weiterentwickelter Ausdruckskraft erstrahlt er jetzt in der halsbrecherischen Rossini-Partie, für die Jürgen Kesting im Programmheft alleine 54 Mal das B, 16 Mal des H und 19 Mal das C zählt.
An seiner Seite ging Guanqun Yu mit mädchenhaftem Ausdruck. Bemerkenswert, dass Guillaume Tell über weite Strecken eine reine Herrenoper ist, wodurch auch Christina Gansch als Tells Sohn Gemmy bedeutend wird. In einigen großen Szenen sind gerade ihr und Yu als Mathilde die musikalischen Aufgaben übertragen, die hohen Frauenstimmen hörbar zu machen, was herausragend gut gelingt.
So wird die Oper Guillaume Tell zu einem hörens- und und sehenswerten Opernerlebnis.
Gioachino Rossini
Guillaume Tell
Oper in vier Akten.
Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis nach Friedrich Schiller
Uraufführung am 3. August 1829 in Paris
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.
Von Opernfan.de besuchte Aufführung: 3. Vorstellung seit der Premiere am 6. März 2016.
Inszenierung: Roger Vontobel
Bühnenbild: Muriel Gerstner
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Gérard Cleven
Dramaturgie: Albrecht Puhlmann
Gessler: Vladimir Baykov
Rudolph der Harras: Jürgen Sacher
Guillaume Tell: Sergei Leiferkus
Walther Fürst: Alexander Vinogradov
Melchthal: Kristinn Sigmundsson
Arnold: Yosep Kang
Mathilde von Habsburg: Guanqun Yu
Leuthold: Bruno Vargas
Hedwig: Katja Pieweck
Gemmy: Christina Gansch
Ruodi: Nicola Amodio
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Staatsoper Hamburg, Herren des Extrachores
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