Skip to main content
Anzeige

Nie war verschmähte Liebe so unterhaltsam! Barrie Kosky inszeniert das bekannteste Werk von Tschaikowski einfallsreich und bildstark... 

Nie war verschmähte Liebe so unterhaltsam! Barrie Kosky inszeniert das bekannteste Werk von Tschaikowski einfallsreich und bildstark... 

Schon die ersten Takte versprechen einen vielschichtigen, mystischen Abend. Mit gekonnten Ritardandi, geheimnisvoller Dynamik und spannungsgeladenen Streicherklängen startet das Orchester in die Ouvertüre. Der Vorhang lichtet sich: Wir sehen einen echten Eichenwald, eine Lichtung in satten Grüntönen. Unbeschwert spielen die Schwestern Tatjana und Olga auf weichem, grünem Gras, das die gesamte Bühne bedeckt. Ihre Mutter Larina und die Amme Filippjewna kochen frische Beeren zu feiner Marmelade. 

Klick auf's Bild führt zur Bildergalerie der Inszenierung. 

Klick auf's Bild führt zur Bildergalerie der Inszenierung.

Die fröhliche Olga ist mit Lenski, einem begeisterten jugendlichen Dichter verlobt. Als dieser seinen neuen Freund mitbringt, ist es um die introvertierte Tatjana, Olgas Schwester, geschehen. Tatjana verliebt sich in Jewgeni Onegin, was sie in einem innigen Liebesbrief zum Ausdruck bringt. Onegin weist sie hartherzig zurück.

Zwischen Lenski und Jewgeni Onegin kommt es zum Streit, der in einem Duell und in der Katastrophe endet! Onegin verlässt als Mörder seines Freundes die Provinz.

Jahre später in St. Petersburg sucht Jewgeni Onegin nach der schönen Tatjana. Sie ist inzwischen mit einem wohlhabenden Fürsten verheiratet. Tatjana hört sich Onegins Liebesflehen an, weist ihn jedoch ab. Sie folgt nicht Onegins Drängen, gemeinsam zu fliehen. Am Ende der Oper reißt sie sich von ihm los und lässt den Verzweifelten Jewgeni auf der Waldlichtung zurück.

Diese Inszenierung ist ein einzigartiger Hingucker! Der handgewebte, zwei Hundert Quadratmeter große Rasenteppich ist auch schon der wesentliche, optische Erfolgsfaktor dieser interessanten Aufführung. Regisseur Barrie Kosky vertraut der Wirkung des satten Grüns! Die Optik eines lebendigen, lieblichen Fundaments behält er in der gesamten Oper bei. Räume werden durch Spots geschlossen (Briefszene), Volksszenen nehmen stets die gesamte Bühne ein und schließlich steht auch im dritten Akt das Haus des Fürsten, gebaut aus tragbaren Wänden, einfach so auf der Wiese. Der noble Ball, auf dem sich Tatjana und Olga wiedersehen, findet auf einem Teppich statt, der das empfindliche Grün etwas abdeckt.

Barrie Kosky hat die Psychologie der Figuren intensiv herausgearbeitet. In den Liebesszenen hat jedes Handbewegung, jeder der vielsagenden Blicke eine große Bedeutung. Besonders die Übergänge sind alle einfallsreich gestaltet. Die Wände des Fürstenpalastes werden rausgetragen, während Onegin noch in der Szene steht. Das Haus seiner Träume zerfällt. Das Sofa auf dem er nachdenklich vor sich hin träumt, ziehen ihm die Bühnenarbeiter weg. Den Teppich, das Fundament, auf dem er steht, rollen sie zusammen. Diese und viele andere Einfälle machen die Aufführung auch schlichtweg sehr unterhaltsam!

Am Schluss stehen Tatjana und Jewgeni Onegin im Regen. Weil technisch schwierig zu realisieren, kommt dieser alte Theatereffekt eher selten zum Einsatz. Nie verpasst er seine Wirkung: Tatjana lässt den Titelhelden „im Regen stehen“. Ach, so einfach darf eine Interpretation auch mal sein!

Asmik Grigorian als Tatjana ist schon eine kleine Starbesetzung. Die litauische Sängerin mit dem erst jugendlichen, dann herrschaftlichen Erscheinungsbild, war an der Komischen Oper bereits als Rusalka und Maria (in Mazepa) zu hören. Die Tatjana in Jewgeni Onegin interpretierte sie bereits in Sankt Petersburg und in Moskau. Mit ihrer schönen Stimme gestaltet sie ausdrucksstark und vielseitig. Ihr Forte klingt besonders schön: Die Töne sind meist lyrisch im Ansatz, entwickeln sich dann aber meist mit dramatischem Einschlag.

Günter Papendell als Jewgeni Onegin ist erst ein jugendlicher Held, dann ein tragischer Verlierer. Der versierte Bariton, erst vor wenigen Monaten mit der Titelrolle in Don Giovanni geadelt, begegnet der großen Aufgabe mit Respekt und Hingabe, vermutlich auch mit Fleiß (auf Russisch!). Die Verzweiflung der Titelfigur bringt er eindrucksvoll zu Gehör. Ihm ist zu wünschen, dass er seine Stimme im Fach Kavalierbariton noch Jahrzehnte so frisch und schnörkellos zum Klingen bringen kann, wie zur Zeit.

Aleš Briscein als Lenski spielt den verliebten Teenager mit großer Hingabe. In seinen Arien bringt er die geforderte Innigkeit, zwischendurch auch die benötigte Durchschlagskraft. Durchgängig verbindet er die Register und entfaltet in der Höhe eine sehr schöne Strahlkraft.

Margarita Nekrasova als Amme bietet genau das richtige Bild zur Figur der Amme. Sie gestaltet ausdrucksstark und warmherzig.

Auf Russisch zu singen, eine Entscheidung des Regisseurs, ist richtig. Man muss beim Lesen der Untertitel (in vielen Sprachen auf kleinen Displays angeboten) schon flott sein, aber so bleibt ein schöner Effekt erhalten. Die ungewöhnlichen Vokale und die vielen russischen Konsonanten passen nämlich wunderbar zur Musik, weil sie einfach so klingen, wie Tschaikowski sie gesetzt hat. Der Text schmeichelt der Musik, die Musik stärkt den Text. In diesem Falle ist die Oper in der Originalsprache einfach sehr interessant. Es sei kurz erwähnt, dass ich kein Wort Russisch spreche, aber trotzdem eine große Freude am Klang der Sprache hatte.

Der Chor ist bestens präpariert. Wie anspruchsvoll die Chorpartie ist, wird gleich in der ersten großen Szene deutlich. Ein schnelles Lied mit einer einfachen Melodie baut Tschaikowski zu einem komplexen Ensemble aus. Schön, dass Graben und Chor schon in dieser Szene stets zusammen sind. Eine gute Verbindung zwischen Orchester und den zuverlässigen Sängerinnen und Sängern der Hauptrollen scheint durch die gewissenhafte musikalische Leitung von Henrik Nánási garantiert zu sein. Das groß besetzte Orchester bringt einen homogenen, warmen Klang im Forte und nimmt sich gewissenhaft und spannungsreich in den vielen schönen, lyrischen Passagen zurück.
Jewgeni Onegin von Tschaikowski an der Komischen Oper Berlin ist ein Genuss für Augen und Ohren.

Pjotr I. Tschaikowski: Jewgeni Onegin

Lyrische Szenen in drei Akten [1879]
Libretto von Pjotr I. Tschaikowski und Konstantin S. Schilowski nach dem gleichnamigen
Roman in Versen von Alexandr S. Puschkin
In russischer Sprache. Dauer 2.40 Stunden. 

  • Musikalische Leitung: Henrik Nánási
  • Inszenierung: Barrie Kosky
  • Bühnenbild: Rebecca Ringst
  • Kostüme: Klaus Bruns
  • Dramaturgie: Simon Berger
  • Chöre: David Cavelius
  • Licht: Franck Evin

Die Sängerinnen und Sänger der von opernfan.de besuchten 2. Vorstellung

Günter Papendell (Jewgeni Onegin), Asmik Grigorian (Tatjana), Karolina Gumos (Olga), Aleš Briscein (Lenski), Christiane Oertel (Larina), Alexey Antonov (Fürst Gremin), Margarita Nekrasova (Filippjewna), Yakov Strizhak (Zarezki), Christoph Späth (Triquet), Chorsolisten der Komischen Oper Berlin

 


Seitenanfang
Anzeige