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My Fair Lady: Mörderin der Muttersprache trifft auf gefühlsarmen Professor
Der ehemalige Intendant der Komischen Oper kehrt zurück nach Berlin und inszeniert das weltberühmte Musical über den Aufstieg der Eliza Doolittle in die Welt der Reichen und Schönen.
Der ehemalige Intendant der Komischen Oper kehrt zurück nach Berlin und inszeniert das weltberühmte Musical über den Aufstieg der Eliza Doolittle in die Welt der Reichen und Schönen.
Die Komische Oper Berlin hat in den letzten Jahren interessante Opern herausgebracht, aufregende Operetten neu koloriert und witzige Musical-Inszenierungen entwickelt. Endlich steht nun der Musical-Klassiker My Fair Lady auf dem Programm. In einer Inszenierung von Andreas Homoki wird das Stück mit der Musik von Frederick Loewe sogar zum ersten Mal in der Behrensstraße gezeigt.
My Fair Lady ist eines der berühmtesten Musicals. In Pygmalion, der literarischen Vorlage, übte George Bernhard Shaw beißende Kritik an der englischen Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Damals galt: Wer unten ist, soll unten bleiben, wer oben ist, ist immer oben! Im Originalstück formt Pygmalion eine Dame aus der Unterschicht nach seinen Vorstellungen. Im Musical, es wurde wegen Widerständen von Shaw sogar erst nach seinem Tod komponiert, erzieht Professor Higgins das Blumenmädchen Eliza Doolittle mittels Sprechunterrichts und einer passenden Garderobe zur liebreizenden Lady und vorzeigbaren Ball-Begleitung.
Die kurzweilige Inszenierung greift schließlich Anregungen aus einem Pygmalion-Film der 30iger Jahre auf. Sehr fair gegenüber vorherigen Behandlungen des Stoffes, dass diese Quelle explizit im Programmheft genannt wird. Beim schnellen Durchsehen des Films wird aber klar, dass nur ein paar Eindrücke aus dem Film in die Homoki-Inszenierung Eingang gefunden haben. Kostüm-Anregungen, Kalauer, Auf- und Abgänge, Frisuren. Schließlich spielt die aktuelle Inszenierung in den 20iger Jahren, einer bekanntermaßen auch für Berlin sehr wilden Zeit. Gut gelöst ist die Übertragung des englischen Slangs von Eliza, ihres Vaters und ihres Umfelds. Statt Londoner Gossensprache wird eifrig Berlinert. „Dit hab ick jehört“! Die Mörderin der Muttersprache (Professor Higgins über Eliza Doolittle) berlinert sich durch das Stück, aber die Übertragung ins Jetzt klappt durchweg gut.
Das Eis ist schon während der Ouvertüre gebrochen. Ein kleines Grammophon steht auf der Bühne, Rundvorhang zu, großes Grammophon steht da. Aufmerksames Gekicher in den Parkettreihen. Auch im Verlauf des Abends sind alle Szenenwechsel einfallsreich. Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann verwendet riesige Vorhänge, um in echter Hollywood-Manier wie in Busby-Burkeley-Filmen leichte, luftige Räume entstehen zu lassen, die immer wieder neue Formen annehmen. Zentral dabei sind die erwähnten riesigen Grammophone. Sie sind mal Tanzpodest, mal Versteck und schließlich, im Botschafter-Ball, eine riesige, witzige Rutschbahn!
Ausdruck, Witz und Musikalität der Tänzerinnen und Tänzer der Komischen Oper Berlin sind eine große Bereicherung der neuen Inszenierung. Die von Arturo Gama erdachten Choreographien spiegeln die ölige Geschmeidigkeit der Musik. Die Tänzer wiegen sich gemeinsam im Takt, verschiedenste Tanzgruppen mischen sich rasch, kurz darauf treten einzelne Tänzer für neue Akzente hervor. Das Ensemble der Tänzer trägt wesentlich zur großartigen Optik der Inszenierung bei.
Die wahre Verlogenheit der Londoner Spießer, unter denen sich Eliza schließlich bewegt, offenbart sich zum esrten mal in der bildstarken Ascot-Szene. Das arme Kind, wird so "jehänselt"! Ein paar falsche Vokale veranlassen zur menschenverachtenden Abwertung des freundlichen, herzensguten Mädchens. Im Grunde berührt das bis heute. Tag für Tag kämpfen Außenseiter bei uns um Akzeptanz, Gleichstellung und Integration.
Bildergalerie von My Fair Lady an der Komischen Oper. Alle Fotos: @ Iko Freese | drama-berlin.de
Katharina Mehrling, seit Jahren in Berlin und an der Komischen Oper vielbeschäftigte Musical- und Operettensängerin, ist eine Traumbesetzung für Eliza Doolittle. Spielwitz und Vielseitigkeit, gemischt mit einer ordentlichen Prise Selbstironie, machen sie zur Sympathieträgerin des Abends. Ihre Eliza ist musikalisch nicht auf Schönheit gebürstet. Sie zieht die langen Töne oft ohne Vibrato jazzig auseinander, was liebliche und operettenhafte Momente verhindert. Zum Glück!
Das Bühnendeutsch von Max Hopp fällt in diesem Stück als besonders klar und lehrbuchhaft auf. Klar, Professor Higgins muss lupenrein sprechen. Dennoch sei’s gesagt: Sein "Bühnen-R" ließe jeden Sprecherzieher jubeln! Max Hopp ist eine Idealbesetzung für den hilflosen Sprachfanatiker. Higgins hat keine Gefühle, er ist am Schluss nach eigener Aussage „an Eliza gewöhnt“. Glaubwürdig und überzeugend stellt der gute Sänger Hopp den armen Hanswurst dar. Professort Higgins ist mit seinen Neurosen und Ticks im Grunde der eigentliche Außenseiter des Stücks.
Das Orchester unter der Leitung von Kristiina Poska untermalt unaufdringlich und flexibel.
Ein großer Premierenabend mit guter Stimmung endet schließlich mit langanhaltendem Applaus. My Fair Lady an der Komischen Oper ist ein sehenswerter, kurzweiliger Abend!
Der erwähnte Schwarzweißfilm Pygmalion aus dem Jahre 1938 ist in guter Qualität auf dem Videoportal Youtube zu finden, Pygmalion-Film von 1938 auf Youtube ! Einen netten Video-Bericht der aktuellen Inszenierung hat der Berliner Fernsehsender RBB gedreht, Berlin hat wieder eine Lady. RBB-Bericht zu My Fair Lady.
Frederick Loewe: My Fair Lady
Musical in zwei Akten (1956)
Nach George Bernard Shaws Pygmalion und dem Film von Gabriel Pascal
Buch und Liedtexte von Alan Jay Lerner
In deutscher Sprache
- Musikalische Leitung: Kristiina Poska
- Inszenierung: Andreas Homoki
- Choreographie: Arturo Gama
- Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann
- Kostüme: Mechthild Seipel
- Dramaturgie: Johanna Wall
- Chöre: David Cavelius
- Licht: Franck Evin
Besetzung der von opernfan.de besuchten Premiere
- Professor Henry Higgins: Max Hopp
- Eliza Doolittle: Katharina Mehrling
- Alfred P. Doolittle: Jens Larsen
- Mrs. Higgins: Susanne Häusler
- Oberst Pickering: Christoph Späth
- Freddy Eynsford-Hill: Johannes Dunz
- Mrs. Pearce: Christiane Oertel
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Premiere am Samstag, 28. November 2015, 19 Uhr (Premiere)
Fünfzehn weitere Termine in der Spielzeit der Premiere
Kartentelefon: 030 / 47 99 74 00
Karteninfos auf der Website der Komischen Oper Berlin.