Skip to main content
Anzeige

Stefan Herheims seit fünf Jahren erwartete Inszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ beginnt mit einer „Geht-so-Walküre“… 

Stefan Herheims seit fünf Jahren erwartete Inszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ beginnt mit einer „Geht-so-Walküre“… 

Seit fünf Jahren war klar, dass sich Berlin vom geliebten Zeittunnel des Götz-Frierich-Rings aus den 80er Jahren verabschieden muss. Stefan Herheim ist nun auserwählt, im traditionsreichen Wagner-, Strauß- und Verdihaus unter der musikalischen Leitung von Donald Runnicles eine neue Inszenierung von Wagners Tetralogie zu inszenieren. Weil „Das Rheingold“ ausfallen und auf einen späteren Termin verlegt werden musste, ist also die zweite Ring-Oper „Die Walküre“ zuerst dran.

Die Anfangs-Überraschung gelingt, bereits nach wenigen Minuten ein erster Knalleffekt! Sieglinde schwebt halb in den Schnürboden, ein überdimensionaler Flügel im Zentrum der Bühne dient als Fluggerät. Der Flügel ist für den restlichen Abend die zentrale Spielstätte. Er ist das Tor in die Ewigkeit, der Aufzug für die Lieblings-Walküre, die Liebesstätte von Siegmund und Sieglinde. Die Bühne besteht aus Hunderten von teils aufgestapelten, teils unordentlich trapierten und schließlich auch fliegenden Koffern. Ein passendes Bild für die große Suche, für das Wandern, für das Umherirren in Wotans göttlichem Kosmos und die Rastlosigkeit vieler Figuren im Stück. Das Koffer-Bühnenbild wird in das „Das Rheingold“ wohl noch richtig eingeführt, die Spannung bleibt also bis Juni 2021 erhalten, wenn der Corona-Gott dann die verschobene Premiere des Ring-Vorabends zulässt.

Schon im ersten Akt kommen die stärken der Aufführung zum tragen, es sind die Sängerinnen. Lise Davidsen, als Bayreuth-Elisabeth schon 2019 sehr erfolgreich, glänzt als neuer Stern in der Riege der begehrten Wagner-Sopranistinnen. Sie gestaltet die große Rolle der Sieglinde mit einer perfekten Mischung aus lyrischer Färbung und dramatischen Ausbrüchen. Ihre besonders schöne Stimme ruht dabei auf einer warm gefärbten Basis und profitiert von einer wohl dosierten Durchschlagskraft. Eine heutige Sieglinde könnte nicht besser klingen, brava!

Brandon Jovanovich als Siegmund, wirkt dagegen fast schon zurückhaltend, steigert sich aber von Szene zu Szene. In Holzfällerhemd und beiger Trekkinghose sieht er aber leider einem verunfallten Handwerker ählicher als dem geforderten jugendlichen Held.

Der Platzhirsch des ersten Teils ist aber definitiv Andrew Harris als Hunding. Mit seiner markanten Bass-Stimme und einer ungenierten Bühnenpräsenz zeichnet er ein deutliches Bild des wütenden Ehemans.

Schließlich gibt es in der Familie des Anfangs eine hinzuerfundene, stumme Person. Der Schauspieler Eric Naumann ist Hundingling, der ängstliche Spross von Hunding und Sieglinde. Obwohl hinzuerfundene Personen in anderen Opern-Inszenierungen eher im Wege standen als dass sie eine Bereicherung waren, ist die mutige Erfindung eines Sieglinde-Hunding-Sprösslings eine gute Idee.

Hundingling versucht sogar, sich mit Siegmund, seinem Onkel zu verbünden. Er will ihn sogar vor dem gewalttätigen Hunding schützen und ermutigt Siegmund später, das im Flügel (!) steckende Schwert zu ziehen. Aber am Ende nützt ihm die zu Siegmund entwickelte Freundschaft nichts, denn Sieglinde findet doch, dass Hundingling im Weg ist. Messer, Hals, Schnitt: Hundingling stirbt durch die Hand seiner Mutter.

Der 2. Akt beginnt befremdlich: Wotan entsteigt dem Souffleurkasten und so startet ein Reigen niveaufreier Ideen dieser Inszenierung. Seltsam befremdlich bleiben die penetrant vorgeführten Feinripp-Kollektionen von Wotan und vielen anderen Figuren. Auch das plötzlich zusammenhanglos an- und ausgehende Saallicht ist ein zu oft gesehener Klassenspiel-Effekt. Es ist dann aber gerade hell genug, um das Kopfschütteln der Berliner Wagner-Fans im Zuschauerraum zu sehen.

Dennoch wird im zweiten und schließlich im dritten Teil durchgehend auf höchstem Niveau gesungen. Annika Schlicht als Fricka führt die ehelichen Diskussionen mit Göttergatte Wotan in einer luxuriösen Stimmschönheit. Ihre ausdrucksstarke Mezzo-Mittellage ist genauso hörenswert wie die wohlklingende tiefe Lage, nicht zu vergessen die markanten, aber äußerst geschmackvoll gestalteten Wutausbrüche in der Höhe. John Lundgren als Wotan schont sich zunächst etwas, spielt aber einen überzeugenden Allmächtigen und liebevollen Brünnhilde-Papa. Bis zum Walkürenfelsen am Schluss dreht er stimmlich mächtig auf.

Nina Stemme als Walküre überzeugt vom ersten bis zum letzten Ton. Große Vibratoschwingungen hält sie im Zaum, aber sie komplettiert an diesem Abend, es mag hier wiederholend erscheinen, die Riege der Sängerinnen mit besonders schönen Stimmen! In diese Gruppe gehören auch ihre acht Walküren-Schwestern, alle lustvoll gesungen und gespielt von Ensemblemitgliedern der Deutschen Oper Berlin.

Das Orchester der Deutschen Oper überzeugt wie immer bei Wagner durch eng gewobene Streicherteppiche und beispielsweise elegant gestaltende Musikerinnen und Musiker an den Holz- und Blechblasinstrumenten. Einzig die vielen harten Akkorde des fünfeinhalb Stunden dauernden Opernabends hätten durchweg etwas knackiger und präziser sein können.

Donald Runnicles gelingt es nicht immer, Punktierungen von Bühne und Graben punktgenau zusammenzubringen. Die dargebotene Musik ist bei dieser Aufführung von „Die Walküre“ aber um ein vielfaches ansprechender als die gezeigte Inszenierung, die nach dem durchwachsenen Urteil der Berliner Opernfans sehr wahrscheinlich eine deutlich geringere Lebensdauer als der Vorgänger-Ring von Götz Friedrich haben wird.

Ein Beitrag von Alexander Hildebrand
(Besuchte Vorstellung am 8. Oktober 2020) 

  • Musikalische Leitung: Donald Runnicles
  • Inszenierung, Bühne: Stefan Herheim
  • Bühne: Silke Bauer
  • Kostüme: Uta Heiseke
  • Licht: Ulrich Niepel
  • Video: William Duke, Dan Trenchard
  • Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach, Jörg Königsdorf

Die Sängerinnen und Sänger der Aufführung "Die Walküre" in der Deutschen Oper Berlin

  • Siegmund: Brandon Jovanovich
  • Hunding: Andrew Harris
  • Wotan: John Lundgren
  • Sieglinde: Lise Davidsen
  • Fricka: Annika Schlicht
  • Brünnhilde: Nina Stemme

 

  • Helmwige: Flurina Stucki
  • Gerhilde: Aile Asszonyi
  • Ortlinde: Antonia Ahyoung Kim
  • Waltraute: Irene Roberts
  • Siegrune: Ulrike Helzel
  • Roßweiße: Karis Tucker
  • Grimgerde: Nicole Piccolomini
  • Schwertleite: Beth Taylor
  • Hundingling: Eric Naumann

Orchester: Orchester der Deutschen Oper Berlin

Weitere Informationen auf der Website der Deutschen Oper Berlin


Seitenanfang
Anzeige