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Wagner-Oper in Berlin: Tristan und Isolde reisen auf einer Yacht ins Unglück
Daniel Barenboim leitet in Berlin eine Neuinszenierung von "Tristan und Isolde". Dmitri Tcherniakov ist für Regie und Bühne verantwortlich.
Daniel Barenboim leitet in Berlin eine Neuinszenierung von "Tristan und Isolde". Dmitri Tcherniakov ist für Regie und Bühne verantwortlich.
Berlin liebt die Oper „Tristan und Isolde“! Sämtliche Aufführungen der neuen Inszenierung der mit Pausen rund 5,5-stündigen Wagneroper sind praktisch ausverkauft. Ursache ist sicherlich die feste Verankerung der Opern von Richard Wagner im Berliner Kulturbetrieb für die Bürger der Stadt. Auch die europaweite Ausstrahlung der Wagnertradition des Opernhauses unter den Linden entfaltet ihren Sog. In unserem Falle ist die europaweite Anziehung nachgewiesen, denn eine Sitznachbarin war extra aus Portugal für diese Aufführung angereist. Den 3,5-stündigen Flug hatte sie und ihre Begleitung am Aufführungstag bestritten, den Rückflug am Tag danach. Wagner zieht in Berlin zieht also die Kenner an.
Wo es schon ums Reisen geht: Regisseur Dmitri Tcherniakov, nie um Ideen für geschmackvolle, aussagekräftige Bilder auf der Opernbühne verlegen, lässt den ersten Akt von „Tristan und Isolde“ auf eine vornehmen Yacht spielen. Laut Außenbordkamera und Geschwindigkeitsanzeige schippern Isolde, Brangäne, Kurwenal und ihre „Freunde“ als Mitglieder einer wohlhabenden Oberschicht bei konstanten neun Knoten übers Meer. Die Getränke munden und die Stimmung ist gut. Schließlich kommt Tristan hinzu und das stunden-, gar monatelange Liebesdrama zwischen Titelheldin und Titelheld nimmt aufgrund verwechselter Zaubergetränke einen tragischen Verlauf. Isolde und Tristan wollen wegen der Unerfüllbarkeit ihrer Zuneigung gemeinsam sterben. Aus Versehen trinken Sie aber statt eines Suizid herbeiführenden Mittelchens einen betörenden Liebestrank. Großformatige, vorproduzierte Videoaufnahmen auf einem vor die Bühne gespannten Gazevorhang zeigen den entscheidenden Moment: Isolde flößt Tristan den Liebestrank ein. Statt eines erweiterten Suizides sind die beiden nun für immer verliebt. Das Ende ist bekannt, es geht tragisch aus…
Hier nun gleich eine Bemerkung zur Isolde von Anja Kampe. Im Grunde kommt die intensive, durchdachte Personenführung Anja Kampe sehr entgegen. Sie erlaubt ihr schöne dramatische Gesten, die stets zur Musik und vor allem zum sehr gut verständlichen Text passen. Die erst kürzlich mit der Ehrung „Bayerische Kammersängerin“ ausgezeichnete Sopranistin der Stimmlage „Dramatischer Sopran“ bringt an diesem Abend erneut Wagnergesang in seiner besten, ausgereiftesten Form an die Staatsoper unter den Linden.
Der zweite Akt ist zunächst ein Kammerspiel, denn Isolde und Tristan sind endlich allein. Sie können nicht voneinander lassen. Sie haben eine hypnotische Wirkung aufeinander und so ist es auch inszeniert. Erfreulich, dass ähnlich wie im ersten und im dritten Akt die Bühne sehr positive akustische Auswirkungen hat. Alle Sänger sind im als vornehme Party inszenierten zweiten Akt besonders gut zu hören, denn das Bühnenrund scheint den Gesang nach vorne zu reflektieren. Die während der Sarnierung der Staatsoper optimierte Akustik sorgt schließlich für eine Abmischung zwischen Bühne und Orchester, bei der keine Wünsche offen bleiben.
Toll, dass das Regieteam schließlich auch für den 3. Akt eine völlig andere Optik als für die beiden ersten Teile findet. Tristan durchleidet seine letzten Stunden in einem öden, heruntergekommenen Landhaus. Der morbide Charme der Bühne unterstreicht den traurigen Zustand des Titelhelden. Die Inszenierung wird schließlich zu einer spannenden Kriminalgeschichte, denn die Angst vor König Marke und seinem Gefolge dominiert. In diesen letzten Szenen des Abends wird nochmals klar, dass „Tristan und Isolde“ auch ein sehr interessantes Theaterstück ist. Häufig ist zu lesen, es ginge im „Tristan“ nur um Gefühle, aber durch die interessanten Einfälle von Dmitri Tcherniakov ist der theatralische Ablauf von Beginn an und bis zu Isoldes Liebestod am Schluss nachvollziehbar und kurzweilig.
Interessant, dass schließlich Tristans Ängste als Waisenkind im 3. Akt nochmals im Video visualisiert werden. Das kleine Kind Tristan sieht, wie sich die Eltern abwenden und Tristan verlassen. Mich persönlich stört der Gazevorhang und die entstehende, schwammige, marmorierte Optik, aber die kurzen Videos greifen in allen drei Teilen interessante Aspekte auf. Dennoch wäre eine Projektion der Videos an eine Bühnenwand oder im ersten Akt auf dem Kreuzfahrtmonitor eine schönere Alternative gewesen, denn dann wäre der Blick auf die Bühne viel klarer, gar „durchsichtiger“.
Wie zu hören und zu lesen ist, hat Andreas Schager in den ersten Vorstellungen der Tristan-Serie seine Sache sehr, sehr gut gemacht. Für die besuchte Aufführung war der Münchner Heldentenor Vincent Wolfsteiner, der fest in Nürnberg engagiert ist, kurzfristig eingesprungen und am Tag zuvor erst angereist. Seine sehr schöne Stimme und sein warmes, rundes Klangbild in Verbindung mit guter Verständlichkeit des Textes kam beim Publikum sehr, sehr gut an. Der Schlussapplaus war für ihn auch besonders kräftig, denn Wolfsteiner hat sich schnell in der komplexen Inszenierung zurecht gefunden und vor allem die elende Verzweiflung des Tristan im 3. Akt sehr überzeugend gespielt.
Ekaterina Gubanova als vornehme Brangäne, Stephan Milling als unheimlicher König Marke und besonders Boaz Daniel als freundlicher Kurwenal waren starke musikalische Pfeiler einer beeindruckenden Aufführung. Daniel Barenboim, der die Premiere am 11. Februar 2018 und alle Aufführungen der Serie leitet, er tut dies ohne Partitur, entlockte der Staatskapelle Berlin einen warmen, imposanten Klang. Gerade die Kontraste zwischen friedlichem Piano und aufbrausendem Forte fielen besonders positiv auf. Dass die einzelnen Instrumentengruppen in den lauten Passagen noch genauer zu unterscheiden sind, ist sicher auch der bereits erwähnten nochmals verbesserten Akustik der Staatsoper geschuldet. Auch Oboen, Englisch Horn, Klarinetten und Fagotte sind so im Tristan-Akkord gleich am Anfang besonders klar zu vernehmen.
Tristan und Isolde
Handlung in drei Aufzügen
Musik und Text von Richard Wagner
Nach dem Versroman "Tristan" von Gottfried von Straßburg.
- Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
- Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
- Kostüme: Elena Zaytseva
- Licht: Gleb Filshtinsky
- Video: Tieni Burkhalter
- Chöre: Raymond Hughes
- Dramaturgie: Tatiana Vereshchagina, Detlef Giese
- Tristan: Vincent Wolfsteiner
- König Marke: Stephen Milling
- Isolde: Anja Kampe
- Kurwenal: Boaz Daniel
- Melot: Stephan Rügamer
- Brangäne: Ekaterina Gubanova
- Ein Steuermann: Adam Kutny
- Stimme eines jungen Seemans, ein Hirt: Linard Vrielink
Herren des Staatsopernchores
Staatskapelle Berlin
Website mit der Möglichkeit, Karten für die Staatsoper zu bestellen: www.staatsoper-berlin.de
Das Opernhaus Staatsoper Berlin hat die Adresse Unter den Linden 7 in 10117 Berlin.
Am bequemsten erreichen Opernfans die Staatsoper mit der S-Bahn (S+U Friedrichstraße) oder mit der U2 (Hausvogteiplatz oder Stadtmitte). Die Busse der Linien 100 und 200 halten direkt vor dem Opernhaus.
Parken können Sie in der Parkgarage Staatsoper.
Opernfan.de dankt der Staatsoper für die Unterstützung bei der Berichterstattung über "Tristan und Isolde".